Der Begriff "Technische Analyse" ist ein wenig verwirrend, da es bei dieser Art der Analysetätigkeit weniger um Technik oder Mathematik geht. Besser wäre es, den Begriff Chartanalyse zu verwenden oder sogar von Marktpsychologie zu sprechen. Natürlich gibt es in der technischen Analyse mathematische Konzepte, zum Teil auch esoterischer Natur. Aber einfacher gesagt, handelt es sich bei der technischen Analyse um das Studium von Marktdaten, die wiederum aus den Handlungen der Marktteilnehmer hervorgehen. Diese Daten werden meist in der Form von Charts (Diagrammen) dargestellt und analysiert. Ziel dieser Chartanalyse ist es, zukünftige Kurstrends vorherzusagen. Dabei stehen v.a. folgende drei Grössen dem Techniker zur Verfügung: Kurs, Umsatz und Open Interest (Anzahl offener Kontrakte), wobei letztere nur bei Futures und Optionen benutzt wird.
Die technische Analyse versucht die kollektive Investorenpsyche zu messen, die wiederum stark von der Massenpsychologie und von Zyklen kollektiver Gier und Furcht abhängt. Der Techniker glaubt, dass alles was möglicherweise die Kurse beeinflussen kann - fundamental, politisch, psychologisch oder sonst wie - durch den Marktpreis aktuell widerspiegelt wird. Alles worauf sich der Techniker beruft, ist die Widerspiegelung von Angebot und Nachfrage in der Kursbewegung. Steigt die Nachfrage, so sollten die Preise steigen. Übertrifft das Angebot die Nachfrage, so sollten die Preise fallen. Dieses ökonomische Grundprinzip ist die Basis jeder Vorhersage. Den reinen Techniker interessieren die Gründe eines Anstieges oder eines Sinkens der Preise überspitzt gesagt nicht. Er dreht obiges Prinzip um und gelangt zu dem Schluss, dass wenn die Kurse steigen, die Nachfrage das Angebot - aus welchem Grund auch immer - übertrifft. Der Markt ist somit „bullish“, also positiv gestimmt (im Gegensatz zu „bearish“, negativ gestimmt). Die zugrundeliegenden Kräfte mögen fundamentaler oder psychologischer Natur sein; es sind nicht die Charts selbst, die Märkte zum Steigen oder Fallen bringen, sie reflektieren einfach nur die bullishe oder bearishe Stimmung an den Märkten.
Dieser chartbasierten Analyse steht die sogenannt fundamentale Analyse gegenüber, die versucht, den inneren oder wahren Wert einer Aktie zu ermitteln, aufgrund der Aussichten zur Umsatz-, Margen- und Gewinnentwicklung sowie der finanziellen Ausstattung der Firma. Diese Grössen wiederum werden beeinflusst durch den generellen Zustand der Branche oder der Gesamtwirtschaft. Daher müssen fundamentale Analysen immer wieder an aktuelle Gegebenheiten angepasst werden. Charts hingegen müssen nie revidiert werden.
Die Input-Daten bleiben also immer gleich.
Es geht im Folgenden nicht darum die fundamentale Analyse gegenüber
der technischen auszuspielen. Viel eher soll aufgezeigt werden, dass
bei einem Investitionsentscheid die Stimmung des Marktes auf keinen
Fall übersehen werden soll. Denn schon der grosse Ökonom John M.
Keynes wusste: "Der Markt kann länger irrational bleiben als Sie
liquide". Ein unserer Meinung nach optimales Investment geht von einem
fundamental unterbewerteten Papier aus, das bei ins Positive drehender
Marktstimmung gekauft wird.
Kritiker der Chartanalyse vergleichen diese oft mit Kaffeesatzlesen und rücken das Ganze gerne in das Feld der Esoterik. Tatsächlich sind in den Jahren unzählige Ansätze publiziert worden, und viele stehen astrologischen Aussagen und Runenlesen näher als seriöser Investmentanalyse. Wir konzentrieren uns hier bewusst auf die aus unserer Sicht nachvollziehbaren, da die menschliche Natur widerspiegelnden Ansätze.
Der Mensch in seiner Gesamtheit ist ein Herdentier. Er macht, was alle anderen machen. Dies trifft auf alle Bereiche unseres Lebens zu. Oft nennen wir dies "Mode" oder bemerken, dass etwas „in" ist. Dies gilt für z.B. für Kleider, Autos, Freizeit, aber auch für gesellschaftliche Verhaltensmuster. Warum also nicht auch auf dem Gebiet der Anlagen. Zurzeit kaufen die Leute beispielsweise Gold, warum muss Sie eigentlich nicht interessieren, es ist einfach so.
Hat sich ein solcher Trend etabliert, so brauchen wir eigentlich als Anleger nur ihm zu folgen. Somit besteht eine erste grosse Aufgabe darin, einen solchen Trend für eine Anlage, sei es für einen ganzen Markt oder eine einzelne Aktie zu identifizieren.
Bei der Identifikation von Trends stellt sich natürlich
die Frage der Zeitspanne, für die ein solcher Trend Gültigkeit haben
soll. Nach Charles Dow (zusammen mit Edward Jones Gründer der Dow
Jones Company im Jahre 1882) gibt es drei Trends: den primären, den
sekundären und den unbedeutenden. Man kann diese Trends mit den Tiden
(Gezeiten), den Wellen und dem Gekräusel des Ozeans vergleichen. Dow
stellte sich die "Gezeiten" am Markt, also den primären Trend in
Zeiträumen von einem bis mehreren Jahren vor. Der sekundäre Trend
verkörpert Korrekturen innerhalb des primären Trends; sie dauern in
der Regel drei Wochen bis drei Monate. Der untergeordnete oder
unbedeutende Trend dauert nach Dow weniger als drei Wochen. Dieser
kurzfristige Trend stellt Fluktuationen innerhalb des mittelfristigen
Trends dar.
Zur Identifikation von Trends mit Hilfe von Charts sehen
wir drei geeignete Hilfsmittel:
- Trendlinien
- Gleitende Durchschnitte
- Volumen und Momentum
Trendlinien
Steigende Preise werden generell durch höhere Hochs und höhere Tiefs
gekennzeichnet. Verbinden Sie (mindestens) drei solche Punkte, wie auf
dem Chart für den SMI dargestellt, und sie identifizieren so den
Trend. Die Punkte auf einer solchen Linie nennt man Widerstand oder
Unterstützung. Durchbricht die Kursbewegung diese Linie, so kann es zu
einem Trendbruch oder zu einer Trendverstärkung kommen.
Abb.1:
Ein sehr schöner, steigender Trend von April 03 bis gegen Ende
September 03. Der SMI hielt sich über der Unterstützungslinie und
durchbrach diese nachhaltig am 22.9., um in eine volatile
Seitwärtsbewegung einzudrehen (Mouse-over für grösseres Bild).
Gleitende
Durchschnitte
Gleitende Durchschnitte sind rollende Preisdurchschnitte über eine
vordefinierte Zeitperiode (z.B. über 20, 50 oder 200 Tage). Sie helfen
uns zu bestimmen, ob ein Trend dreht oder anzieht. Dabei gilt
generell: schneiden die kurzfristigen Bewegungen (entweder die
Preisbewegungen direkt oder ein kurzfristiger Schnitt, z.B. 20-Tage)
die längerfristigen Bewegungen (200-Tages-Durchschnitt) so könnte es
sich um eine Trendumkehr handeln. Schneidet also die Linie des
20-Tages-Durchschnittes die Linie des 200-Tages-Durchschnittes von
unten nach oben, so ist dies ein positives Kaufsignal, schneidet sie
von oben nach unten, so ist dies als Verkaufssignal zu sehen.
Abb 2: Beachten Sie in unserem Beispiel die gleitenden Schnitte (20-Tages-Schnitt: grün, 50-Tages-Schnitt: blau, 200-Tages-Schnitt: orange); hätten Sie jeweils gekauft wenn z.B. der die grüne 20-Tages-Linie die rote 200-Tages-Linie nach von unten nach oben gekreuzt hat, hätten Sie den ganzen Aufwärtstrend ab Sept. 04 mitgemacht. Umgekehrt hätten Sie den Absturz ab August 07 grösstenteils vermieden, wenn Sie verkauft hätten als die grüne Linie die rote nach unten durchbrochen hat (Mouse-over für grösseres Bild).
Volumen und Momentum
Volumen und Momentum kann man als Indikatoren über die "Gesundheit"
des Trends begreifen. Ein Trend im Preis sollte durch das Volumen als
sekundärem Faktor bei Kaufs- oder Verkaufssignalen bestätigt werden.
Einfach ausgedrückt: der Umsatz soll in Richtung des vorherrschenden
Trends ansteigen, d.h. in einem primären Aufwärtstrend wird das
Volumen ansteigen, wenn die Kurse steigen, und sich bei fallenden
Kursen verringern. In einem Abwärtstrend sollte der Umsatz bei
fallenden Kursen ansteigen und bei Rallyes abnehmen.
Oder anders gesagt: weitet sich das "Kaufen" auf
weitere Käufer aus, ist dies ein positives, trendverstärkendes Signal.
Beim Momentum untersuchen wir über einen bestimmten Zeitraum, wieviele
Tage steigende Kurse und wie viele sinkende anzeigen. Laufen Volumen
und Momentum aus, so kann dies ein Signal für auslaufende Dynamik
sein. Denken Sie an ein Auto mit ausgehendem Benzin. Es wird noch ein
Weilchen stotternd weiterlaufen, bevor ihm endgültig der Schnauf
ausgeht und es stehen bleibt. In der Phase des Stotterns merken wir
aber, dass etwas nicht stimmt und wir können immer noch handeln, bevor
es zum Stillstand (oder bei Märkten zum Einbruch) kommt.
Die Chartanalyse stellt Ihnen wertvolle Hilfsmittel zur
Verfügung, die es Ihnen erlaubt, die momentane Marktpsychologie besser
einschätzen zu können. Gegen den Markt zu investieren ist immer ein
gefährliches Unterfangen. Nicht umsonst heisst es: "The trend is your
friend." Umgekehrt hilft es aber auch Zeiten zu grosser Euphorie und
zu tiefen Pessimismus zu identifizieren und sich so entsprechend zu
positionieren (ev. durch frühzeitige Reduktion der Positionen oder
umgekehrt durch frühzeitigen Einstieg. Der Investor würde dann eine
sogenannte „Contrarian“-Position einnehmen. Dies ist aber nur
sinnvoll, wenn mit den dargestellten technischen Hilfsmitteln mit
genügender Sicherheit ein Boden oder ein Top identifiziert werden
konnte. Oder um es wieder mit einer durchaus sinnvollen Börsenregel zu
formulieren, die vor einem frühzeitigen Einstieg warnt: „Greife nie in
ein fallendes Messer“.
Weiterführende Literatur:
Technische Analyse, John J. Murphy, FinanzBuch Verlag, 2003).
Banken wie Swissquote bieten Tools zur Chartanalyse und entsprechende
Kurse an (siehe abgebildete Charts).