Für Obligationäre und andere Schuldner steht die Analyse der Bonität resp. Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens im Vordergrund. Aber auch Aktionäre sollten an der aktuellen finanziellen Lage eines Unternehmens interessiert sein (und nicht nur an deren Zukunftsaussichten). Soll nicht nur auf die Einschätzungen von Rating-Agenturen abgestellt werden oder wird eine Firma durch diese gar nicht abgedeckt, kann das Z-Score-Modell (auch Z-Faktor-Modell genannt) nützliche Hinweise liefern. Es handelt sich hierbei um das erste multivariate Insolvenzprognoseverfahren überhaupt, veröffentlicht 1968 von Edward I. Altman, Professor emeritus der New York University Stern School of Business. Das Z-Score ist eine multivariate Formel, um die finanzielle Lage zu beurteilen sowie die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls innerhalb der nächsten zwei Jahre abzuschätzen. Die Formel wurde mittels statistischer Verfahren parametrisiert (multivariate lineare Diskriminanzanalyse). In der Wissenschaft wird die Formel auch zur Überprüfung der Prognosequalität von Ratingsystemen herangezogen und bildet auch die Grundlage einiger kommerzieller Ratingverfahren..
Das Z-Score ist eine lineare, gewichtete Kombination von vier geläufigen Geschäftskennzahlen. Die originale Form basierte auf der Analyse von kotierten Industrie- und Fabrikationsunternehmen, wurde später aber auf nicht-kotierte Industrie- und Handelsunternehmen erweitert. Sie ist aber gänzlich ungeeignet, Finanzunternehmen wie Banken und Versicherungen, Broker etc., zu analysieren. Zu stark unterscheiden sich deren Geschäftsmodell und Bilanzen vom übrigen Gewerbe.
Die originale Z-Score-Formel für Industrie- und Fabrikationsbetriebe lautet wie folgt:
Z = (1.2 x A) + (1.4 x B) + (3.3 x C) + (0.6 x D) + (1.0 x E)
wobei
A = Nettoliquidität / Total Vermögen
B = Einbehaltene Gewinne / Total Vermögen
C = Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) / Total Vermögen
D = Marktwert des Eigenkapitals / Total Schulden
E = Umsatz / Total Vermögen
Je tiefer der Z-Wert, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz der Unternehmung. Die Werte des Z-Scores können grob in folgende Klassen eingeteilt werden:
- Unter 1.8: Unternehmen ist auf einen Zeithorizont von
zwei Jahren
hochgradig insolvenzgefährdet
- Über 3.0: Unternehmen befindet sich in gesicherter
finanzieller
Lage
- Zwischen 1.8 und 3.0: statistische Grauzone
Diese originale Form wurde wie gesagt für börsenkotierte US-Industriefirmen entwickelt.
Tabelle 1 zeigt eine Gegenüberstellung des Z-Scores und des S&P Bond Ratings für US-Industriefirmen (1992-2013).
Tabelle 1
Rating |
|
2004–2010 |
1996–2001 |
1992–1995 |
AAA/AA |
4.13 (15) |
4.18 |
6.20* |
4.80* |
A |
4.00 (64) |
3.71 |
4.22 |
3.87 |
BBB |
3.01 (131) |
3.26 |
3.74 |
2.75 |
BB |
2.69 (119) |
2.48 |
2.81 |
2.25 |
B |
1.66 (80) |
1.74 |
1.80 |
1.87 |
CCC/CC |
0.23 (3) |
0.46 |
0.33 |
0.40 |
D |
0.01 (33) |
-0.04 |
-0.20 |
0.05 |
*AAA only. |
Zu den Rating-Definitionen siehe auch:
http://www.vpi-schweiz.ch/anleihen.html
Um das Modell auch auf nicht-kotierte Unternehmen anwenden zu können, wurde in einer späteren Modellüberarbeitung bei der Kennzahlendefinition für D der Marktwert des Eigenkapitals durch dessen Buchwert ersetzt und alle Koeffizienten neu geschätzt.
Z' = (0.717 x A) + (0.847 x B) + (3.107 x C) + (0.420 x D) + (0.998 x E)
wobei
A = Nettoliquidtät / Total Vermögen
B = Einbehaltene Gewinne / Total Vermögen
C = Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) / Total Vermögen
D = Buchwert des Eigenkapitals / Total Schulden
E = Umsatz / Total Vermögen
1. Nettoliquidität (Working Capital) / Total Vermögen
Bei der Position Nettoliquidität (auch Working Capital genannt) handelt es sich um das Barmittel abzüglich der kurzfristigen Schulden. Ausstehende Forderungen (wie im Quick Ratio) und Lagerbestände (wie im Current Ratio) werden also bewusst nicht in die Kalkulation miteinbezogen, da sie sich bei gefährdeten Unternehmen leicht aufblähen können und so die liquide Situation verzerren. Der Indikator für sich alleine genommen, ist wahrscheinlich der am wenigsten hilfreiche, um eine angespannte finanzielle Situation beurtteilen zu können. Oft arbeiten Firmen mit knappen Liquiditäten, da diese brachliegende Mittel darstellen. Sollte die Liquidität knapp werden, kann sie in der heutigen Situation bei gesunden Unternehmen leicht beschafft werden. Dennoch erweist sich die Kennzahl im Verbund mit den anderen Variablen in der Praxis als sinnvoll.
2. Einbehaltene Gewinne (Reserven)
Hierbei handelt es sich um eine Bilanzkennzahl. Gemeint sind alle über die Jahre angehäuften und einbehaltenen (nicht ausgeschütteten) Gewinne (retained earnings), die sich im Eigenkapital unter Reserven niederschlagen. Es sind also kumulierte Gewinne, im Gegensatz zum einbehaltenen Jahresgewinn des letzten Jahres. Je älter und erfolgreicher also eine Firma ist, desto grösser sind ihre einbehaltenen Gewinne. Eine junge Firma kann noch nicht auf ein grosses Polster an Reserven zurückgreifen oder schreibt in den ersten Jahren sogar nur oder überwiegend Verluste. Die Wahrscheinlichkeit eines Konkurses ist deshalb ungleich grösser, was auch statistisch untermauert wird. Ebenso ist bei hohen einbehaltenen Gewinnen oft die Leverage-Situation, also der Grad der Verschuldung, günstiger. Die Firma hat sich also in der Vergangenheit aus eigener Kraft finanziert und war/ist nicht auf Fremdkapital angewiesen. Sie hat künftig immer noch eine hohe Kapazität zur Schuldenaufnahme, sollte dies aus einem Grunde nötig werden.
3. Gewinn vor Zinsen und Steuern (Earnings Before
Interest and
Taxes – EBIT)
Eine Kennzahl über die Ertragskraft eines Unternehmens. Auch der Cash Flow wäre eine sinnvolle Alternative. Empirische Studien zeigten jedoch keinen signifikanten Unterschied in der Aussagekraft zwischen EBIT und Cash Flow. Wichtig ist, dass der Gewinn nicht durch „produktionsfremde“ Grössen wie Steuern oder Zinsen verzerrt wird.
4. Marktwert des Eigenkapitals („Börsenkapitalisierung“)
resp.
Buchwert des Eigenkapitals
Das Z-Score-Modell wurde geschaffen, um einen Blick in die Zukunft eines Unternehmens werfen zu können. Der Preis einer öffentlich gehandelten Publikumsgesellschaft widerspiegelt alle Einschätzungen und Erwartungen der Marktteilnehmer an dieses Unternehmen. Es ist also die beste Einschätzung über die Zukunft und den Gesamtwert der Firma, die wir haben (Stichwort: Schwarm-Intelligenz). Handelt es sich um eine private, nicht öffentlich Gehandelte Firma, so ist diese Grösse nicht vorhanden und wird durch den Buchwert ersetzt. Da die Märkte in den Schwellenländern oft hohe spekulative Schwankungen aufweisen und die Preissetzung oft weniger Effizient ist als in reifen Märkten, verwenden wir dort ebenfalls den Buchwert (siehe auch Anhang unten zum Z Double Prime Score). Der Wert des Eigenkapitals wird zu den gesamten Schulden ins Verhältnis gesetzt, um eine Aussage über die Verschuldungssituation treffen zu können.
5. Umsatz dividiert durch Total Vermögen
Dies ist eine Kennzahl des Kapitalumschlages und liefert statistisch gesehen den zweithöchsten Beitrag zur Erklärungskraft des Z-Score-Modells. Nur für sich gesehen, hat der Kapitalumschlag keinerlei Aussagekraft bezüglich des Ausfallrisikos einer Unternehmung. Erst im Zusammenspiel mit den anderen Variablen entfaltet die Grösse seine Prognosewirkung. Ein Problem ist jedoch die starke Branchenabhängigkeit dieser Grösse. Handelsunternehmen haben einen völlig anderen Kapitalumschlag als Industrie- und Fabrikationsfirmen. Deshalb wurde sie im Z double prime Modell (Z'') eliminiert und dafür die anderen Variablenanders gewichtet (siehe Anhang).
Berechnen Sie das Z-Score und Vergleichen Sie das Resultat mit den Bond Ratings der Firma. Dies erlaubt Ihnen eine vertiefte und unabhängige Einschätzung der finanziellen Situation eines Unternehmens. Sollte das Modell andere Resultate liefern als die Einschätzungen der Rating-Agenturen, sind vertieftere Analysen der einzelnen Kennzahlen und der Situation angebracht. Die Kennzahlen sind sehr leicht direkt oder indirekt im Internet auffindbar. So bietet morningstar.ch oder morningstar.de z.B. Bilanzen und Erfolgsrechnungen für sämtliche in der Schweiz und in Deutschland kotierten Firmen an. Andere Quellen sind Reuters, die Schweizer Börse SIX, Yahoo etc. Auch Aktieninvestoren kann das Z-Score dienliche Hinweise liefern. So zeigt eine Analyse von Morgan Stanley aus dem Jahre 2009 über eine Auswahl europäischer Firmen, dass Unternehmen mit schwächeren Bilanzen in 2/3 aller Fälle den Markt unterperformen. Eine Firma mit einem Z-Score von unter 1 weist im Schnitt eine um über 4%-Punkten schwächere Rendite als der Gesamtmarkt auf.
Das Z Double Prime Score (Z'') wurde ursprünglich für Emerging Markets entwickelt. Es eignet sich aber auch sehr gut, Firmen über diverse Branchen hinweg beurteilen zu können (also auch Handelsunternehmen, aber wiederum NICHT Finanzunternehmen.
Die Formel lautet:
Z'' = 3.25 + (6.56 x A) + (3.26 x B) + (6.72 x C) + (1.05 x D)
wobei
3.25 = Konstante, so dass ein Score kleiner null einem Default der Firma entspricht
A = Nettoliquidität / Total Vermögen
B = Einbehaltene Gewinne / Total Vermögen
C = Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) / Total Vermögen
D = Buchwert des Eigenkapitals / Total Schulden
Tabelle 2 zeigt eine Gegenüberstellung des Z''-Scores und equivalenten Bond Ratings für US-Industriefirmen
Tabelle 2
Median
1996 Z" |
Median 2006 Z" |
Median 2013 Z" |
|
Rating |
|||
AAA/AA+ |
8.15 (8) |
7.51 (14) |
8.80 (15) |
AA/AA– |
7.16 (33) |
7.78 (20) |
8.40 (17) |
A+ |
6.85 (24) |
7.76 (26) |
8.22 (23) |
A |
6.65 (42) |
7.53 (61) |
6.94 (48) |
A– |
6.40 (38) |
7.10 (65) |
6.12 (52) |
BBB+ |
6.25 (38) |
6.47 (74) |
5.80 (70) |
BBB |
5.85 (59) |
6.41 (99) |
5.75 (127) |
BBB– |
5.65 (52) |
6.36 (76) |
5.70 (96) |
BB+ |
5.25 (34) |
6.25 (68) |
5.65 (71) |
BB |
4.95 (25) |
6.17 (114) |
5.52 (100) |
BB– |
4.75 (65) |
5.65 (173) |
5.07 (121) |
B+ |
4.50 (78) |
5.05 (164) |
4.81 (93) |
B |
4.15 (115) |
4.29 (139) |
4.03 (100) |
B– |
3.75 (95) |
3.68 (62) |
3.74 (37) |
CCC+ |
3.20 (23) |
2.98 (16) |
2.84 (13) |
CCC |
2.50 (10) |
2.20 (8) |
2.57(3) |
CCC– |
1.75 (6) |
1.62 (–)* |
1.72 (–)* |
CC/D |
0.00 (14) |
0.84 (120) |
0.05 (94)** |
*Interpolated between CCC and CC/D. |